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Konrad Weiss's film review written in German on Rosenstrasse

  1. Konrad Weib’s film review written in German on Rosentrassee  

 

Anmerkungen zum Film "Rosenstraße"

 

"Mißtraut den Grünlagen!" Mit diesem sprichwörtlich gewordenen Satz

beginnt Heinz Knobloch sein Buch über Moses Mendelssohn _Herr Moses in

Berlin_, das zuerst 1979 erschienen ist. Es war eines der wenigen Bücher

in der DDR, die sich mit jüdischer Tradition, jüdischer Kultur und

jüdischem Leben beschäftigten. Über den Widerstand der Frauen in der

Rosenstraße heißt es dort:

 

"Wenn wir neben dem Polnischen Kulturzentrum den Durchgang benutzen,

also nicht weiter in Richtung Markthalle gehen, nicht abgelenkt werden

von Schokolade, Wurst-Spezialitäten, Elektrik und Porzellan, gelangen

wir in die Rosenstraße, die eigentlich ein geräumiger Parkplatz ist.

Früher gab es zwischen der Spandauer Straße und der Rosenstraße eine

Verbindung, Heidereutergasse genannt. Hier stand zu Mendelssohn Zeit die

Synagoge. Es war die älteste Berlins, und niemand weiß mehr, wer sie

gebaut hat. (...) Dem Tempel war die Besonderheit vorgeschrieben, daß er

als Bauwerk der Juden keinesfalls mit einer christlichen Kirche

gleichgesetzt und nicht höher sein durfte als ein einstöckiges

Bürgerhaus. (...)

Vor diesem Haus und in der Rosenstraße sowie vor Hafträumen der Geheimen

Staatspolizei kam es im Frühjahr 1943 zu wiederholten Demonstrationen.

Ehefrauen protestierten offen gegen die Verschleppung ihrer jüdischen

Männer.

Wer von alledem nichts weiß, denkt wohl, den Parkplatz hier hat es schon

immer gegeben."[1]

 

Ich weiß nicht mehr, wann ich zuerst vom Frauenprotest in der

Rosenstraße gehört habe. In der DDR stand immer der kommunistische

Widerstand im Mittelpunkt. Über den "bürgerlichen", kirchlichen oder gar

jüdischen Widerstand las und hörte man viel weniger. 1967 habe ich, noch

als Student, einen Film über die jüdisch-kommunistische

Widerstandsgruppe Herbert Baum gemacht, den Film _Flammen_.[2] Möglich,

daß ich bei den Recherchen zu diesem Film auch auf die

Rosenstraßen-Aktion gestoßen bin oder bei Gesprächen mit den

Überlebenden der Gruppe Baum davon gehört habe. Ganz gewiß habe ich es

1979 in Knoblochs Buch gelesen. Jedenfalls wußte ich vom Widerstand der

jüdischen Frauen, ohne ihn aber mit seinem historischen Ort in

Verbindung zu bringen. Daß jener Parkplatz in der Nähe des Polnischen

Kulturzentrums, auf dem auch ich oft mein Auto abgestellt habe, der Ort

jenes Geschehens ist, ist mir aber erst bewußt geworden, als dort Mitte

der 90iger Jahre das eindrucksvolle Denkmal von Ingeborg Hunzinger

errichtet worden war.

 

Wenn Geschichte nur abstrakt, mit nackten Jahreszahlen oder in trockenen

historischen Fakten überliefert wird, fällt es schwer, sich ein

lebendiges Bild zu machen, sie mitzuleiden und mitzuleben. Vom Ursprung

her war Geschichtsschreibung ja immer auch Erzählung, und in vielen

Völkern wurde Geschichte nur durch das gesprochene, vielfältig

ausgeschmückte Wort lebendig erhalten. So es ist völlig legitim, wenn

auch in unserer Zeit Geschichte mit allen zur Verfügung stehenden

Medien, also auch mit dem Theater, dem Hörspiel, dem Film, dem Internet

und allen denkbaren multimedialen Formen überliefert wird.

 

Als Filmdokumentarist war ich immer der Überzeugung, daß sich

historische Ereignisse am wirksamsten über das Schicksal realer Menschen

vermitteln lassen. So habe ich auch meine Geschichtsfilme gestaltet,

etwa den Film _Dawids Tagebuch_[3] über den jüdischen Jungen Dawid

Rubinowicz oder den Film _Ich bin klein aber wichtig_[4] über den

polnischen jüdischen Kinderarzt, Erzieher und Schriftsteller Janusz

Korczak. Ich war mir immer bewußt, daß für die heute Geborenen die

Ereignisse im nationalsozialistischen Deutschland genauso fern,

unverständlich und kaum nachvollziehbar sind wie die Punischen Kriege

der Römer.

 

Und so habe ich auch den Film _Rosenstraße_ von Margarethe von Trotta

gesehen, einen Film, der mich bewegt und tief berührt hat. Die harsche

Kritik von Wolfgang Benz,[5] den ich für einen der besten Kenner des

Nationalsozialismus halte und als einen der bedeutendsten

zeitgenössischen Historiker achte, habe ich nicht verstanden. Benz reibt

sich vor allem an einem Satz im Vorspann, der auf die Historizität der

Ereignisse hinweist, hat diesen Satz aber ungenau gelesen und zitiert.

Benz schreibt: "Im Vorspann zu Margarethe von Trottas Film 'Rosenstraße'

steht zu lesen, daß die Ereignisse sich tatsächlich Ende Februar/Anfang

März 1943 so in Berlin zugetragen haben. Der Film nimmt damit

Authentizität in Anspruch."[6]

 

Tatsächlich heißt es im Vorspann aber, daß die Ereignisse in der

Rosenstraße stattgefunden haben, nicht, daß sie sich so zugetragen

haben, wie der Film sie darstellt. Das ist ein ganz wesentlicher

Unterschied. Denn der Film "Rosenstraße" ist ein Spielfilm, eine Fiktion

– eine Fiktion allerdings auf der Grundlage historischer Ereignisse. Ein

Dokumentarfilm müßte die Geschehnisse so genau wie nur irgend möglich

nachzeichnen und versuchen, Geschichte zu rekonstruieren. Ein Spielfilm

aber darf und muß eine Geschichte erzählen, eine Geschichte allerdings,

die auf historischen Tatsachen beruht. Ein Dokumentarfilm muß

authentisch sein; seine Protagonisten sind reale Menschen. Ein Spielfilm

darf Figuren und Szenen erfinden.

 

Ein fiktionaler Film, auch ein historischer, _kann_ nicht authentisch

sein. Was er allerdings leisten kann, ist die größtmögliche Detailtreue

in der Darstellung der Ereignisse, in der Echtheit der Orte, der

Genauigkeit der Ausstattung, in der Zeittreue der Sprache, der Musik,

der Bilder. Das alles leistet Margarethe von Trottas Film. Für meinen

Film _Dawids Tagebuch_ konnte ich nur auf ein einziges kleinformatiges

Klassenfoto zurückgreifen, das Dawid verschwommen im Hintergrund zeigt.

Ein anderes Bild ist von dem Jungen nicht erhalten geblieben. Ich mußte

es dem Zuschauer überlassen, sich _sein_ Bild zu machen. Doch dabei

konnte ich dem Zuschauer behilflich sein: durch das Tagebuch des Jungen,

durch die Aussagen von Menschen, die ihn gekannt haben, durch die

Landschaft, in der er gelebt hat, durch Fotos, Filmaufnahmen und

Dokumente aus jener Zeit. Für den Spielfilm jedoch ist es völlig

legitim, daß er Menschen und ihre Gefühle, Gedanken und Handlungen

erfindet und durch Schauspieler darstellen läßt. Und je überzeugender

und mit unserer eigenen Erfahrung übereinstimmend die Charaktere sind,

desto glaubwürdiger ist der Film. Auch dies ist Margarehe von Trotta und

ihren Darstellern gelungen.

 

Im zeitgenössischen Filmschaffen ist allerdings ein verhängnisvoller

Trend zu beobachten: die Vermischung der Genres. Viele Filmemacher

vertrauen offenbar dem dokumentarischen Material nicht. Sie arbeiten mit

Inszenierung, mit nachgestellten Szenen, mit der Vermischung von

Zeitebenen, ohne dies für den Zuschauer eindeutig kenntlich zu machen.

In meinen Augen werden dadurch letztlich die Filmdokumente entwertet.

Filmdokumente, die doch in Wahrheit überaus kostbar sind. Denn sie

zeigen immer reale Menschen, Menschen, die wirklich gelebt haben und vor

der Kamera gelacht und gelitten haben, die etwas von sich preisgegeben

haben, und die oft genug auch vor laufender Kamera gestorben sind. Ich

habe bei meiner Filmarbeit vieler solcher Bilder gesehen und bearbeitet,

und ich war mir stets der Verantwortung bewußt, mit solchen Bildern

nicht leichfertig umzugehen oder gar formal zu spielen. Im übrigen ist

auch das Betrachten dieser Bilder, der Umgang mit ihnen im Kopf und am

Schneidetisch, eine überaus anstrengende, belastende, ja quälende

Arbeit. Viele dieser Aufnahmen verfolgten mich bis in meine Träume.

 

Man sollte den Film _Rosenstraße_ nicht als einen Film über Geschichte

sehen, schon gar nicht mit den Augen eines Historikers, sondern als

einen Film über Menschen und menschliche Schicksale in einer konkreten

historischen Situation. Als einen Film, der, ganz in der Tradition der

antiken Tragödie, Mitleid wecken und Mitgefühl erregen soll. Im Grunde

gilt auch für den historischen Spielfilm noch immer, was Aristoteles

über die griechische Tragödie schrieb: "Die Handlung wird nicht durch

bloßen Bericht erzählt, sondern von Menschen vorgeführt. Sie bewirkt

durch Mitleid und Furcht eine Katharsis, die läuternde Reinigung von

derartigen Gefühlen."[7]

 

So ist auch für den historischen Spielfilm das wichtigste, daß seine

Figuren und ihre Schicksale den Zuschauer ergreifen, daß sie für ihn in

ihren Gefühlen und Handlungen nachvollziehbar sind, auch dann, wenn

seine Lebensumstände ganz andere sind. Ein fiktionaler historischer Film

muß keine Geschichtsstunde ersetzen, aber er kann dem Zuschauer Menschen

in ihrem historischen Umfeld nahebringen und auf diesem Weg auch sein

Interesse für die tatsächlichen geschichtlichen Ereignisse wecken. Ein

beredtes Beispiel dafür war der Film _Holocaust_, ein Film, an dessen

Darstellungsweise und historischer Treue sicher manches zu bemängeln

ist. Und doch hat dieser Film etwas geschafft, was zahllose andere Filme

und Bücher und wissenschaftliche Arbeiten nicht vermocht haben--nämlich

in Deutschland eine umfassende Debatte über die Shoa, die

industrialisierte Judenvernichtung der deutschen Nationalsozialisten

auszulösen.

 

Ein anderes Beispiel in dieser Hinsicht ist das Theaterstück _Korczak

und die Kinder_[8] von Erwin Sylvanus. Erwin Sylvanus standen, als er

1956 mit dem Schreiben begann, nur wenige historisch belegte Fakten zur

Verfügung. Er übernahm auch eine Legende, die schon in Auschwitz unter

den jüdischen Häftlingen kursierte: Als Korczaks Waisenhaus deportiert

werden sollte, habe ein deutscher Soldat, der ein Kinderbuch Korczaks

gelesen hatte, ihm Rettung angeboten. Korczak aber habe abgelehnt und

ist mit den Kindern in die Gaskammer gegangen, wie die anderen Erzieher

und Erzieherinnen auch. Letzteres entspricht den historischen Fakten.

Aber daß ein deutscher Soldat ein Buch Korczaks gelesen haben soll, ist

mehr als unwahrscheinlich. Zwar war im Herbst 1935 tatsächlich ein

Kinderbuch Korczaks in deutscher Übersetzung[9] in einem kleinen

jüdischen Verlag erschienen, aber seit Frühjahr 1935 durften die Bücher

jüdischer Autoren nur im Judaica-Handel vertrieben werden, für

Nichtjuden waren sie verboten. Wie sollte es also ein nichtjüdischer

Deutscher Korczaks Buch gelesen haben?

 

Aber entscheidend ist doch, daß Korczak mit den Kindern ins Gas gegangen

ist, und es schmälert nichts von seinem Heldenmut und seiner

Menschlichkeit, wenn sich jenes Angebot eines deutschen Soldaten als

Legende erwiesen hat. Ich habe das Stück von Erwin Sylvanus Anfang der

sechziger Jahre in einer eindrucksvollen Inszenierung des Magdeburger

Theaters gesehen. Es war für mich--und für viele Deutsche--nicht nur die

erste, mich tief berührende Begegnung mit Korczak, sondern auch mit den

schrecklichen Geschehnissen im Warschauer Ghetto. Und das war das

wesentliche an Sylvanus' Stück, nicht das eine oder andere historische

Detail.

 

Im übrigen halte ich die Vorstellung, man könne die Geschichte eines

totalitären Staates umfassend und genau anhand von belegbaren Fakten

darstellen, für mehr als naiv. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist der

Schießbefehl der DDR-Machthaber. Nach 1989 haben ganze Heerscharen von

Archivaren und Historikern nach einem entsprechenden Dokument gefahndet

und es nicht gefunden. Aber den Schießbefehl hat es gegeben. Die Toten

an der Mauer belegen es schrecklich genug. Und es gehört doch zum Wesen

eines diktatorischen Regimes, daß es die Geschichte klittert, Dokumente

fälscht und Fakten manipuliert. Andererseits ist auch vieles, was im

Widerstand gedacht, gesprochen und getan wurde, nicht dokumentarisch

belegt--weil jede Aufzeichnung eine Gefährdung gewesen wäre und die

Konspiration gewahrt werden mußte. Der Historiker wie der

Schriftsteller, der Filmemacher muß sich damit abfinden, daß er nie die

ganze Wahrheit über die Geschichte wissen wird. Das gilt auch für die

Widerstandsaktion der jüdischen Frauen in der Berliner Rosenstraße.


 

Notes

 

[1]. Heinz Knobloch, Herr Moses in Berlin. Auf den Spuren eines

Menschenfreundes. Berlin (DDR), Buchverlag Der Morgen, 1979. S.212f.

 

[2]. 1967/1970. Produktion: Deutsche Hochschule für Filmkunst /

Fernsehen der DDR. Buch und Regie: Konrad Weiß

 

[3] 1980. Produktion: DEFA Studio für Dokumentarfilme Berlin. Buch:

Walther Petri und Konrad Weiß. Regie: Konrad Weiß. – Siehe auch:

http://www.bln.de/k.weiss/tx_dawid.htm

 

[4] 1988. Produktion: DEFA Studio für Dokumentarfilme Berlin im Auftrag

des Fernsehens der DDR. Buch: Walther Petri und Konrad Weiß. Regie:

Konrad Weiß. – Siehe auch: http://www.bln.de/k.weiss/tx_korcz.htm

 

[5] vgl. Wolfgang Benz, "Kitsch as Kitsch can", Süddeutsche Zeitung,

18.09.2003

 

[6] Benz, a.a.O.

 

[7] Aristoteles, Poetik. Griechisch und deutsch, Leipzig, Verlag Philipp

Reclam jun., 1979, S.25

 

[8] Erwin Sylvanus, Korczak und die Kinder, Uraufführung 1957. – Eine

neuere Ausgabe s. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt-Taschenbuchverlag, 1980.

 

[9] Janusz Korczak, Der Bankrott des kleinen Jack, Berlin, Verlag

Williams & Co., 1935. – Zur Rezeptionsgeschichte des Buches s.a.: Konrad

Weiß, Nach Deutschland durch die Hintertür? - in: Beiträge zur Kinder-

und Jugendliteratur, Berlin (DDR) 1988, Heft 87, S.23ff. und

Korczak-Bulletin, Jg.12 Heft 1 vom Mai 2003, S.12ff.

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